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Dirty Photography

Margareth Otti

„Alle Bilder wollen ja erst mal geliebt werden“1, meint der Künstler Wolfgang Tillmans und gibt damit eine recht simple Antwort auf die Kernfrage der Visual Culture „What do pictures want?“2 Wenn Rosalind Krauss von „dem Fotografischen“ als dem theoretischen Gebilde spricht, das aus der Reflexion der Fotografie und ihren Handlungskontexten entsteht, also aus ihrer medialen Produktion, Distribution und Rezeption, so kann man in derselben Weise „das Architektonische“ definieren. Architektur wird überwiegend über das fotografische Bild vermittelt, diskutiert, ausgestellt und publiziert. Über die Fotografie wurde und wird ein(e) Repräsentationskult(ur) der Architektur konstruiert; die „Architektur hat sich in ihr eigenes Bild verliebt.“3 Über Bilder von Gebautem definieren wir, was Architektur ist; die Fotografien beeinflussen unsere Wahrnehmung und Erwartungshaltung an das Gebaute, verändern die Entwurfspraktiken und nicht zuletzt den Architektenberuf und die Bauten der Zukunft: „das Medium selbst [bestimmt] die Art, wie man etwas betrachtet, es bestimmt [...] nicht nur vorher, wie man die Architektur wahrnimmt, sondern auch wie man sie sich zuerst vorstellt und wie man sie dann erlebt.“4 Enttäuschung äußert sich manchmal nach der realen Erfahrung eines Bauwerks, wenn die Architektur durchschritten anstatt im Bild betrachtet wird: „Das ist die Rache an der Photographie: dass das Original durch seine Echtheit verliert.“5 Man kann Walter Benjamins Frage, „ob nicht durch die Erfindung der Fotografie der Gesamtcharakter der Kunst sich verändert habe“6, umformulieren und fragen, ob sich nicht durch die Erfindung der Fotografie der Gesamtcharakter der Architektur verändert habe. Zwei Publikationen unterstreichen dies: Nach Beatrix Colominas Argumentation in Privacy and Publicity: Modern Architecture as Mass Media (1996) verwandelt Fotografie Architektur in eine Ware; und in der interdisziplinären Anthologie This Is Not Architecture: Mediaconstructions (2002) hinterfragt Kester Rattenbury kritisch die Gleichsetzung von gebautem Raum und dessen medialen Repräsentationen.

 

In der Architekturfotografie geht das Bedürfnis nach Anerkennung direkt auf die gezeigten Objekte über: Die dargestellten Gebäude und ihre ArchitektInnen wollen geliebt werden und als besonders zeitgemäß, durchdacht, progressiv oder geheimnisvoll erkannt werden „und sie haben verschiedenen Techniken der Verführung.“7 Julius Shulman, der führende US-amerikanische Architekturfotograf der Moderne, dessen Inszenierungen in der heutigen Werbefotografie üblich sind, hat treffend erkannt: „[The photographer] must sell his subject.“8 Alles in allem lautet die Anforderung an den Fotografen: Das Foto ist perfekt, wenn es die übermenschliche Perfektion der Architektur widerspiegelt, die eigentlich nicht von dieser Welt ist und die außerhalb von Raum, Zeit, Schmutz, Verfall, Maschinen, Leben, Stadt, Witterungsverhältnissen, Graffitis, Werbung, Mistkübeln, Baumängeln etc. existiert. Es sind keine Architekturen der „wirklichen Welt“9, nicht gemacht für „the world cluttered with junkfood and the oppressive details of modern consumption“10, sondern eben Star-Architekturen, Stern-Architekturen für andere Planeten. Denn „photography is like the art of another planet“11; perfekt geeignet, um Übermenschliches abzubilden. Auf den Aufnahmen ist kein Platz für Unordnung oder Personen, außer es sind Staffagefiguren, die Größenverhältnisse klären oder verschwommene Wesen, die zeigen, dass es auf dem Planeten der perfekten Architekturen auch Leben gibt. Diese reine Fotografie funktioniert nur ohne zu viel Abfall und zu viel Mensch. So wurde etwa der Fotograf Iwan Baan aufgefordert, den Müll auf einer der Fotografien für Zaha Hadid zu entfernen.12

 

Wenn man davon ausgeht, dass Architektur mehr sein muss als gestaltetes Bauen, sondern untrennbar mit sozialer Verantwortung verknüpft ist, ändert sich die Sichtweise. Eine andere Architekturfotografie, dirty photography 13, verweigert sich den Maßstäben der Verwertbarkeit innerhalb einer Publikationsmaschinerie und beleuchtet indessen die ökonomischen, funktionalen, soziokulturellen und in dieser Folge die politischen Implikationen von Architektur. Sie hat mit den Bildern der Stararchitekturen wenig zu tun, umso mehr mit der Gesellschaft, die die Räume prägt, mit den Menschen und der Lebenswirklichkeit von Schmutz, Scheitern, Armut und einer Architektur, die ebenso unperfekt ist wie die Welt.

Die Menschen in den Fotografien gestalten und nutzen den sie umgebenden Raum; in vielen Fällen für Tätigkeiten, die der Gemeinschaft, der sozialen Interaktion, Kommunikation und gemeinschaftlichen Unternehmungen dienen. Stünden Bilder wie diese repräsentativ für die Architektur, die uns umgibt und umgeben soll, wäre auch die notwendige Aufgabe des Architektenberufs geklärt: Die eines Ermöglichers, der den Menschen das Recht auf jene Freiräume zurückgibt, die verloren gegangen sind. Diese Fotografien wie jene von Andy Spyra oszillieren zwischen Kunst und Dokumentation und leisten einen Beitrag zur kontinuierlichen Hinterfragung von Architektur als Ort der sozialen Interaktion, indem sie das Bild auf die Gesellschaft zurückwerfen.14

 

Andy Spyra fotografiert in Syrien zerstörte Wassertürme 15. Die dysfunktionalen Ruinen boten die Existenzgrundlage der Menschen in den Dörfern Nordsyriens. Die Fotografien bezeugen die Schönheit profaner Bauten, die Synergie zwischen Mensch und Bauwerk, die Schrecken des Krieges und die Fragilität der Menschheit. In Schwarzweiß und als Serie aufgenommen, erinnern die Fotografien an die Aufnahmen von Bernd und Hilla Becher im Deutschland der Nachkriegszeit. Diese Abbildungen von anonymen Architekturen bereiteten den Weg für die Hinterfragung von „Autorenschaft“ und das Subjekt des Künstlers in der Gesellschaft. Die Überwindung des Autors führte zum heute allgegenwärtigen Künstler als Sammler, Übersetzer, Analyst und Remixer von industrieller und medialer Produktion.

 

Der belgische Künstler Jacques Charlier kritisiert an den gerahmten und im gleichen Abstand aufgenommenen Schwarzweiß-Serien der Bechers das Auslöschen der politischen Realität über die überästhetische Präsentation der Fotografien. Die Architekturen seien weder skulptural noch anonym, „they are, after all, industrial facilities made by construction workers, … designed by engineers, … owned by factory bosses. All these people have a name, … a story. Concealing them … is part of the usual process of artistic appropriation.“16

Seit den Fotografien von Bernd und Hilla Becher in den 1960er Jahren wird der Architekturfotografie auch gerne das Attribut „objektiv“ zugeschrieben. Keine Fotografie kann dieses Versprechen einlösen, denn die Aufnahme ist immer geprägt von den Intentionen des Fotografen und des Betrachters, vom größeren Konzept, von Art und Kontext der Publikation, in der das Bild gezeigt wird, sogar von der Abbildung neben der betrachteten.17 Die Bilder von Andy Spyra und anderen FotografInnen von Architekturen des Alltags, von geformten Landschaften, von multiplen baulichen Formen sind fake-objective.

Diese scheinbare Objektivität erlaubt dem Betrachter selbst zu urteilen und sich als Individuum in diesen Abbildungen wiederzufinden. Sie üben keine Sozial- oder Stilkritik oder überhöhen das Gezeigte auf eine romantische Art und Weise. Es ist nur ein Blick auf den gebauten Raum; ein Angebot zu sehen, welcher Art die Gebäude sind, die die Gesellschaft hervorgebracht hat, um daraus wiederum auf deren Zustand zu schließen. Die Motive blicken zurück, reflektieren den Einzelnen, die Kultur, die Zeit und den Umgang mit gebautem Raum. Die Fotografien demonstrieren, dass jedes Motiv uns involviert und wir mitverantwortlich sind für die Bilder, die wir betrachten. Dirty photography zeigt ein Bild der Architektur der Gegenwart: „Das Faszinierende ist nicht das, was wir sehen, sondern das, was wir hinter dem Sichtbaren wittern.“18

Bildnachweis: Andy Spyra: Abu Sosah. In: Zeitmagazin, 25. Januar 2018, S. 26.

1 Wolfgang Tillmans in: Zeitmagazin, 1.Juni 2017, S.40.

2 Titel des Buches von W. J. T. Mitchell: What Do Pictures Want? The Lives and Loves of Images, 2006.

3 Bruno Reichlin: Spiegelungen. Wechselbeziehungen zwischen Konzept, Darstellung und gebauter Architektur, in: Daidalos, Nr. 1, 1981, 

    S. 60–73.

4 Kenneth Frampton: Kritischer Regionalismus. Thesen zu einer Architektur des Widerstands, in: Andreas Huyssen, Klaus R. Scherpe:

    Postmoderne. Zeichen eines kulturellen Wandels, Reinbek 1986, S. 152.

5 Siegfried Kracauer: Sehenswürdigkeiten, in: Berliner Nebeneinander. Ausgewählte Feuilletons 1930–33, hg. von Andreas Volk, Zürich

    1993, S. 279.

6 Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, Frankfurt am Main, 1981, S. 486.

7 Siehe Fußnote 1.

8 Marylou Luther: So You Want to be a Photographer? Know the Negativ, Warbs Professional, undatierter Zeitungsartikel, Shulman

    archives, hier: Joseph Rosa (Hg.): A constructed view: the architectural photography of Julius Shulman, New York 1994, S. 88.

9 Victor Papanek: Design für die reale Welt. Anleitungen für eine humane Ökologie und sozialen Wandel, Wien, New York 2009, S. 13.

10 Bill Buford: Dirty Realism: New writing from America, in: Granta 8, Cambridge 1983, S. 4.

11 Henri Focillon: In Praise of Hands (1936), in: The Life of Forms in Art, New York 1948, S. 67.

12 http://www.wdr.de/tv/westart/dienstag/sendungsbeitraege/2014/0107/iwan_baan.jsp, abgerufen am 8.2.2018.

13 Vgl. hierzu: Liane Lefaivre: Dirty realism, in: archithese, Jg. 20, Nr. 1, 1990, S. 12.

14 Siehe dazu: Margareth Otti (Hg.): Architektur und Fotografie. Fotogeschichte – Beiträge zur Geschichte und Ästhetik der Fotografie,

    Heft 132, Jg. 34, Sommer 2014, darin: „Jenseits der Repräsentation. Architekturfotografie der Gegenwart“, Essay zur Architektur in den

    Fotografien von Iwan Baan, Bas Princen, Julia Schulz-Dornburg, Hertha Hurnaus, Michael Wolf und Lois Hechenblaikner.

15 Wolfgang Bauer, Andy Spyra: „Das große Verhängnis“, in: Zeitmagazin, 25.Januar 2018, S. 26-36.

16 Jacques Charlier: Dans les règles de l’art, Brüssel,1983, S. 43; in: Nicolas Bourriaud: The Exform, London/NewYork, 2016, S. 89

17 Vgl. hierzu: Abigail Solomon-Godeau: Wer spricht so? Einige Fragen zur Dokumentarfotografie, in: Diskurse der Fotografie. Fotokritik

    am Ende des fotografischen Zeitalters, hg. von Herta Wolf, Frankfurt/Main 2003, S. 69.

18 Vilém Flusser: Im Trüben fischen. Von virtueller Realität (1991), in: Die Revolution der Bilder. Der Flusser- Reader zu Kommunikation,

    Medien und Design, Mannheim, 1996, S. 170.

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