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Bilder, Gedanken und Sprache

Bernhard Hafner

Ich möchte eingangs etwas über Bilder, Gedanken und Sprache sagen. Architekten, bildende Künstler und auch Komponisten, so vermute ich, haben Bilder im Kopf. Auslöser können Gedanken sein. Auslöser können Einfälle sein, die aus dem Himmel gekommen zu sein schienen oder eher doch aus den Wolken: Woher genau, wissen wir nicht. Auslöser können aber auch Werke anderer sein, in Zeitschriften, Büchern dargestellt oder in Natur oder Sammlungen angeschaut. In der Architektur betrifft dies mehrheitlich das Entwerfen. Ähnlich ist es mit bildenden Künstlern. Komponisten haben Klangbilder und von großen Orchesterwerken spricht man von Tongemälden.

Sie alle bedienen sich einer eigenen Sprache, um das auszudrücken, was sie schauen oder hören. Für Architekten ist es die Skizze. Sie ist es für bildende und Tonkünstler ebenso. Für die einen folgen ihr Modell oder Karton, für die anderen die Partitur. Jene, für die nicht das Bild ausschlaggebend ist, sondern das Denken und der Gedanke, bedienen sich der Sprache, um es auszudrücken, einer Hochsprache, die auf Grammatik und einem syntaktischen Regelwerk beruht. In der Logik und in der linguistischen Semantik spricht man vom wohlgeformten Satz, der wff, the well formed formula. Wenn ich sage, Architekten denken nicht, sondern schauen, wie mir versichert wurde, dann meine ich es so: Architekten ‚denken‘ in Bildern, ihre Sprache ist die Skizze, etwas Persönliches ohne allgemeine Regeln (außer jener, dass sie von Hand sind).  

Bilder und Gedanken, die nebeneinander im Kopf vorhanden sein können, stehen in keiner eindeutigen Korrespondenz zueinander. Sie machen unterschiedliche Aussagen. Was ein Bild aussagt, kann man nicht in Worten sagen, ohne etwas Anderes zu sagen. Im gleichen Bild sieht jeder Betrachter etwas Anderes. Das liegt daran, weil er das ‚Bild denkt‘ und Denken und Vorstellungen, Gedanken und Bilder, nicht in eindeutiger Zuordnung zueinander stehen. Das offenbart sich jedem, der seine Bilder in der Hochsprache darstellen will. Nur wenige Architekten bedienen sich ihr, um etwas über Bilder im Kopf zu sagen. Noch weniger tun es bildende und Tonkünstler. Architekten lernen die Sprache der Technik, die eher dem Denken als Bildern nahe steht, wodurch es ihnen, bei gleicher ‚Sprachbegabung‘, leichter fällt, etwas über ihr Werk zu sagen. Schade eigentlich, dass sie es so selten tun, denn so überlassen sie es der Interpretation durch Architektur­historiker und -kritiker.

Der Zwiespalt zwischen Bildern und Gedanken, Abbildungen und Wort, wird in den zwei Büchern Rethinking Structures der Ausstellung Graz Architektur im Kunsthaus sichtbar. Wenn Sie die Abbildungen ansehen, sehen Sie etwas Anderes als ich. Texte sollen etwas Allgemeines vermitteln, etwas Verbindlichkeit auch, und Fehlinterpretationen vorbeugen. Das heißt nicht, dass in Texten anderer nicht etwas enthalten ist, das auch für mich überraschend sein kann. Aber, wie Susan Sontag in Against Interpretation sagte, der Interpretation, einer Art von Übersetzung, solle man sich enthalten, denn sie verarme. Texte verarmen Bildliches immer.
Das Sprechen über Werke eines Architekten ist eine Art Krücke, mit der sich der Intellekt in eine sehr komplexe Sache einmischt, in die Welt der Bilder im Kopf. Es kann in der Hoffnung geschehen, etwas zu deren Verstehen beizutragen.

Für mich ist die Architektur ein Teil von Geistesgeschichte und Geisteswissenschaft, die große Themen vorgeben. Sie ist dies mehr als sie Teil einer Kunstgeschichte ist, die sich nicht auf diese beiden bezieht. Architektur wird durch die Thematik mit gesellschaftlichen Utopien und visionären Wirklichkeiten konfrontiert. Was löst den Palast als Wohngebäude der höfischen Gesellschaft in der republikanischen ab? Wer folgt Palladio? Wie ist die Beziehung eines Hauses für irgendeinen Gott zu dem, den einen Gott? Wie ist ein solches Haus in der Gesellschaft, in der Kirche und Staat getrennt sind oder nicht? Wie, wenn die Erde eine Scheibe statt einer Kugel sei: Würde das Haus am Rande ins Nichts fallen oder bei geringer Schwerkraft auf den Antipoden wandern, sich auf der Scheibenunterseite als Erdoberfläche wiederfinden?

Wie ist es mit dem Vordergrund, wie mit dem Hintergrund? Ist der Vordergrund nicht das eigentliche Bild und bilden Gedanken dazu einen Hintergrund, vor dem es entsteht, einen transparenten, verdeckten? So ist es wohl.

Was ist der Grund für Bilder eines Architekten, was die Ursache? Mehr als das Umherirren in dem, was für uns erst noch ein Niemandsland ist, als ein Suchen, scheint mir der Grund die Gewissheit zu sein, etwas entdecken zu wollen, was noch nicht da ist. Die Gewissheit, nichts von dem, was wir um uns als beispielhaft oder zeitgemäß ansehen, erkunden und in nichts davon uns vertiefen zu wollen. Neues ist ein Magnet mit Anziehungskraft. Was weiß man aber, was jemals in Vorstellungen, Bildern, im Kopf über Jahrhunderte, Jahrtausende hinweg entstanden ist? Man kann nur wissen, was vermittelt worden ist, und davon nur das, womit wir uns bekannt gemacht haben, eine reduzierte Welt, in der das Neue Ausnahme ist. Eine große Landkarte mit verschwommen begrenzten weißen Flecken. Bei all diesem Nichtwissen öffnen wir uns, Neues zu entdecken und es vermitteln zu wollen, zuerst uns selbst, dann anderen.
Die Ursache kann eine unerwartete Eingebung sein, eine Anregung, die uns vor Gesicht kommt, ein Gedanke, der dem um eine Idee sich bewegenden Denken entspringt. All das kann uns auf den Weg bringen.

Der Weg führt über die Vorstellung und die Kopf-Hand-Schnittstelle zur Skizze. Das ist der Normalfall der Koppelung des Bewusstseins mit den motorischen Fähigkeiten des Menschen. Wie ist es, wenn die Koppelung gestört ist? Was bleibt, wenn Bewegungs­unfähigkeit und Sprachunfähigkeit das Ergebnis der Störung ist wie beim Locked-in-Syndrom? Die Außenwelt wird wahrgenommen, man fühlt, kann geistig präsent sein, aber nichts davon kann man vermitteln. Mit einer Schnittstelle zwischen Mensch und Außenwelt werden neurologische Messungen von Hirnaktivitäten auf einem Computer­system wiedergegeben und als EEG aufge­zeichnet. Das EEG wird von Ärzten als Sprache ohne Wörter gelesen. Diese Kommunikation zwischen Mensch und Maschine zeigt etwa, ob der Betroffene etwas als angenehm oder nicht empfindet. Die von Wissenschaftlern lesbaren EEG-Muster sind Skizzen solcher Menschen. Sie sind etwas, das tatsächlich unaussprechlich ist. Aber das sind Skizzen ja immer: Etwas im Kopf kann zum Zeitpunkt ihres Verfassens nicht anders und ohne Verarmung ausgedrückt werden. Das ist mit Bildern so. Auch litera­rische Texte können bildlich nicht eindeutig und inhaltlich alles erfassend dargestellt werden: Es existiert eine Beziehung zwischen Text und seiner bildlichen Darstellung, aber das Bild drückt nur einen Teil des Inhalts des Textes aus und fügt einen neuen hinzu. Das so entstandene Bild ist nicht verarmt, sondern sagt uns etwas Anderes, es ist neu. Der Inhalt des Textes in ihm aber ist verarmt, da interpretiert und durch nichts sonst als in Worten ausdrückbar.  

Was ist ein Bild, das der Künstler im Kopf hat und wie vermittelt er es? Es ist die Gestalt einer Vorstellung, die in einer Skizze manifest wird. Sie ist Ausdruck der Sprache ohne Worte von Künstlern, Architekten und Komponisten (wie das EEG es für vom Locked-in-Syndrom Betroffene ist). Sie zeigt immer etwas Neues, wenn sie uns über­rascht, verwundern und staunen lässt: Das also ist es, was das Würfeln mit Vorstellungen oder Gedanken als Steinen eines Spiels im Kopf hervorgebracht hat! Oder Brainstorming mit offener Fragestellung. Eine andere Skizze dessen, was im Kopf abläuft, ist dann etwas anders Neues. Mehr und mehr Skizzen klären und verdeutlichen die Vorstellung, berei­chern und ergänzen das Bild; decken etwas auf, das von weißen Flächen auf dem Atlas im Kopf verdeckt war. Vielleicht ist es wie Reisen in unerforschte Gebiete, durch die sie nach und nach Konturen bekommen- aber auch in einen Abweg, in vertraute Irre führen können.  
Gebäude, Gemälde, die Aufführung einer Komposition oder das Buch sind Vollen­dungen einer ursprünglichen Vorstellung, die von Skizzen zu Zeichnungen, Kartons oder Partituren führt und auch anders hätte fertiggestellt werden können. Der Prozess scheint linear zu sein, und wird auch gerne so dargestellt, er ist aber auch sprunghaft, etwas verwerfend, und Neues einfügend. Er wird auch als Irrweg abgebrochen. Jede Skizze hätte auch anders fortgeführt werden, durch einen ergänzenden, ändernden, gar einen alles über den-Haufen-werfenden Einfall, denn die Sprache des Künstlers ist formenreich, reich an Nuancen und differenzierend, wie es seine Ideen sind. Nicht immer geht es um Fertigstellung. Studien für ein kompliziertes künstlerisches Produkt können Studien bleiben und Skizzen können Skizzen bleiben (wie das meiste von mir).

Unser Umgang mit Skizzen zeigt, wie wir unsere Vorstellungen verdeutlichen- sie auch uns selbst verdeutlichen. Etwas grundsätz­lich Anderes kommt zum Skizzieren dazu: das Handwerk der Entwurfsentwicklung, das wir uns durch wiederholtes Skizzieren vielfältiger und unterschiedlicher Bilder aneignen.  

Die Entwurfsentwicklung verwendet eine neue Sprache. Sie ist ein Diskurs mit sich selbst, ein Selbstgespräch, in dem wir Alternativen gegeneinander abwägen und neue verfassen. Durch Denkanstöße und Eingebungen befinden wir diese für gut, jene verwerfen wir. Diese neue Sprache hat eine erweiterte Form.  

Sie kann ganz persönlich sein und wie selbstverständlich angewendet werden. Sie ist subjektiv, der Verfasser sieht sie in seinem Talent begründet, wodurch sie für ihn Gültigkeit hat. Für einen Rationalisten erscheint sie sprunghaft, vielleicht psychologisch, aber nicht logisch erklärbar. Wenn wir von Entwicklung sprechen, dann ist es nicht ein Thema, das abgearbeitet wird, oder ein großer thematischer Gedanke, der über lange Zeit hinweg in nachvollziehbaren Schritten weiterentwickelt wird. Es reicht, sagt die Psyche, siehst Du nichts Neues? Im Nachhinein gesehen, ist es kein Hürden- oder Hindernis­lauf, sondern eher ein Umherspringen auf einer Buckelpiste, wie es motorische Impulse der Beine bewirken. Es ist keine objektivierbare Sprache- besser, keine Sprache, die für Objektivierung angelegt ist-, sondern die das Subjektive zelebriert: Was ich mache, geht nur mich etwas an, ich habe und folge meiner eigene Logik. Finde Du Dich selbst (aber bewundern darfst Du mich). Picasso- „Ich suche nicht, ich finde“- springt von frühen Übungen zur ‚blauen Periode‘, weiter zur ‚rosa Periode‘, beide noch gegenständlich, weiter zum Kubismus und zu Auflösung, beginnender Abstraktion der Dinge. Es folgen wieder eine figürliche, monumentale, die ‚klassische Periode‘ und der späte Picasso mit Einflüssen von und auf zeitgenössische Stile. (Picasso hat sein Werk nicht in diesen Perioden klassifiziert- das tut der Suchende, der zu finden hofft. Es geschah durch Interpretation durch Galeristen und die Kunstgeschichte.) Ein Architekt kann von einem Knetmassenmodell eines Entwurfes für einen Wohnbau an der Peripherie der Stadt über ein Werk brutalistischer Sichtbetonarchitektur nach Schweizer Vorbild unter dem Einfluss von Yona Friedmann und der Ausstellung „Struktureller Städtebau“ 1966 in der Neuen Galerie des Landes als Auslöser sogleich in ein megastrukturelles Tragsystem als Ersatz für das Knetmassenmodell wechseln. „In der Retrospektive bin ich selbst überrascht, wie oft ich mich geändert habe“, sagt er.
Sie kann aber auch rational, gedanklich begleitet sein, einer Durchführung eines Themas in einer Sonate ähneln und in diesem Sinn wohl strukturiert sein. Verschiedene Gehirnhälften, Intuition und Ratio, wechseln einander ab und ergänzen einander. Man ist sowohl Ego als auch Alter Ego, der eine folgt vielleicht der Intuition, der andere denkt, interpretiert und übt Kritik. Wer bestätigt, wer verwirft? Ein Einfall, der einem grundlegend und der nicht in einer Arbeit erschöpfend zu behandeln erscheint, kann der Anfang einer Spur sein, die durch ein ganzes berufliches Leben führt. Da für einen Architekten die Verwirklichung eines Entwurfes nicht in Tagen oder Monaten, sondern in Jahren zu messen ist, können viele Projekte und wenig Realisiertes Zeugnisse davon sein. Der kombiniert schöpferisch-rationale Prozess macht die Sprache nachvollziehbar, über das Subjektive hinaus vermittelbar. Auch sie selbst ist damit der Kritik unterworfen und verpflichtet den Sprecher, zuzuhören. Diese Sprache ist teamfähig, denn den Dialog, den man mit sich selbst führt, kann man auch mit Anderen führen.

Vergleichen wir diese mit einer Komposition in Sonatenform mit Exposition, Durchführung, Reprise und Coda, die dialektisch entwickelt wird und in der Themen miteinander verknüpft werden; in komplexen Formen auch zwischen Sätzen eines mehr­sätzigen Werkes. Die Sprache dieser Musik hat eine eigene Syntax. Es gibt Regeln, eine Vorgehensweise in der Entwicklung der Komposition, die, einmal gewonnen, als etwas Grundlegendes immer wieder einfallsreich angewendet werden kann. Einfallsreichtum und das Wie der Anwendung samt den Freiheiten, die der Komponist sich nimmt, entscheiden die Qualität. Ganz ähnlich sehe ich den Entwurfsprozess.

Die Sprache der Entwurfsentwicklung ist ohne Denken willkürlich. Der Magengrubenarchitekt verwendet sie in rudimentärer Form- er ist, im übertragenen Sinn, nicht kopf-, sondern magengrubengesteuert-, da das Bild im Kopf der Intuition entspringt und durch sie von der Skizze zur Zeichnung entwickelt wird. Alles Weitere, sogar auch die Zeichnung, überlässt er anderen, die wissen, wie es weitergeht und was dafür zu tun ist. Techniker, Ingenieure, wissen, wie eine blaue Blase gebaut werden kann, wovon die Ent­wurfsarchitekten wenig Ahnung hatten. ­Maler in Rubens‘ Atelier wussten, wie Weintrauben in Stillleben und Szenen des Meisters zu malen waren. (Hier liegt der Unterschied in den Beispielen: Wogegen Rubens auch selbst malen konnte, darunter Weintrauben, konnten die Entwurfsarchi­tekten der blauen Blase sie nicht selbst in Bauplänen darstellen.)

Die Objekte dieser Sprache sind Elemente künstlerischer Formgebung. Wann immer wir Architekten entwerfen, benützen wir sie unserer Persönlichkeit entsprechend. Wir kombinieren Bilder miteinander, überlagern sie und kommen dem für uns Endgültigen näher; im Projekt oder in deren Verknüpfung, die uns in weit entferne Gefilde führen kann. Die Sprache bedarf des Denkens. Sie enthält immer impulsgebende Einfälle, aber die Entwicklung ist schließlich rational.

Wenn wir akzeptieren, dass der Entwurfs­prozess dialektisch ist, das Ergebnis eine Synthese von Intuition und Selbstkritik ist, sollten wir bei jedem Entwurf daran denken, und uns nicht verleiten lassen, vom Naheliegenden oder ‚schlechten Gewohnheiten‘, in die wir verfallen können, verführen zu lassen. Essen hat seine Zeit, Entwerfen hat seine Zeit und denken hat seine Zeit. Der Prozess ist auch analytischeben kritisch-, weil Alternativen erwogen, entworfen und erwogen werden. Die Analyse dient aber dem einen: der Synthese eines ästhetischen überzeugenden Ganzen aus Teilen: Einfällen und Gedan­ken. Überzeugt sein muss man selber.

 

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