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Friedrich Achleitners Architekturführer

„Architektur ist natürlich nicht Sprache. Sie erlaubt aber den Gebrauch als Sprache“

Ingrid Böck

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Zeichnung © Felix Obermair

Um Architektur beschreiben, kritisieren, diskutieren zu können, ist ein bewusster Umgang mit ihren sprachlichen Möglichkeiten Voraussetzung. Auch eine Debatte über die politischen Dimensionen von Architektur ist ohne diese Kenntnisse nicht möglich. Doch wer vermittelt uns diese? Ingrid Böck würdigt im folgenden Beitrag das Lebenswerk des kürzlich verstorbenen Friedrich Achleitner (1930–2019), dem wichtigsten österreichischen Architekturkritiker der Nachkriegszeit, in genau diesem Spannungsfeld zwischen Architektur und Sprache.

Auch wenn Friedrich Achleitner selbst wiederholt hervorhob, dass sein literarisches und architekturkritisches Werk nichts miteinander zu tun hätten, relativierte er diese Haltung mitunter auch: „Ich werde umgekehrt immer gefragt, ob für mich die Schreiberei über Architektur etwas mit Literatur zu tun hat, da war ich immer strikt dagegen, obwohl ich mir jetzt gar nicht mehr so sicher bin.“1, Denn der Konnex von seinen Architekturbeschreibungen zum Poetischen lässt sich kaum leugnen: Achleitner war zugleich Architekturkritiker und Dichter, der als Mitglied der Wiener Gruppe ein Hauptvertreter der literarischen Avantgarde war. Seine Vermittlung des baukulturellen Lebens macht ihn zum bedeutendsten Chronisten der österreichischen Architektur im 20. Jahrhundert, der wesentlich an den Kanonisierungsprozessen in der Architektur beteiligt war.
An seinem Hauptwerk Österreichische Architektur im 20. Jahrhundert, einem fünfbändigen Führer, hat Achleitner von 1965 bis 2010 gearbeitet. Er selbst meint zu seiner „Arbeit in Österreich, dieses Abgehen von Orten und Städten“: „Da findet man keine Stars, keine Highlights oder Schlüsselbauten, die sind ja ohnehin bekannt. Aber man findet viel von diesem Mittelgebirge, von diesem Massiv, das eigentlich die Kultur ausmacht.“
2  Entgegen des Dogmas des internationalen Stils erfasst er auch die neue regionale Baukultur und antizipiert mit diesem Verständnis die Leitideen des kritischen Regionalismus, der die eigene ortsspezifische Materialität, Topografie und Formensprache neu interpretiert.
Bereits in den 1960er Jahre setzt Achleitner sich als Architekturkritiker für moderne Architektur ebenso wie gegen die Zerstörung alter Bausubstanz ein und führt – in Anknüpfung an Loos’ sprachliche Übertreibungen und Polemiken – das provokant elegante, sprachlich zugespitzte Feuilleton in die Architekturdebatte ein. Erst die Aufbruchsstimmung innerhalb der jungen Architektengeneration führt zu einem neuen Selbstverständnis als Protagonist für den gesellschaftlichen Wandel, der sich in der Vermittlungsarbeit und medialen Diskussionen ebenso wie in der gebauten Architektur ausdrückt.
Als Werkzeug für seine Texte legt Achleitner ein Archiv in der Form eines Zettelkastens an, in dem seine zeitaufwendige Primärforschung mittels Feldstudien und Recherche auf 22.340 Karteikarten und über 100.000 Bildern, neben Plänen und Begehungsskizzen, dokumentiert ist. Seine Begehungen der Gebäude stehen in engem Zusammenhang mit dem Konzept des „Fremdgängertums“, das er in „Von der Unmöglichkeit, Orte zu beschreiben. Zu Heimito von Doderers Strudlhofstiege“ darstellt: „Der Großstädter lernt seine Stadt buchstäblich schrittweise“ kennen, „analog dem Lernprozess der Muttersprache“, wodurch für jeden einzelnen eine einmalige, zufällige „biographische Stadtstruktur“ entsteht.
3  Diese subjektive Färbung wird durch die Distanz der Fremdgänge ganz bewusst zerstört: Denn das Erfassen eines Ortes ist nicht durch den „funktionalen, gebrauchs­orientierten Blick des Stadtbewohners“, sondern erst für den „Fremdgänger im System Stadt, der durch Distanz, durch den Blick von außen zur genauen Kenntnis einer Sache vorgedrungen ist“, möglich.4  
Die sprachliche Besonderheit von Achleitners Architekturführer erfindet dieses Genre regelrecht neu: Achleitner gewinnt im Architekturführer ästhetische Werturteile aus einer betrachtenden Rezeption von Bauwerken, die er mit Reflexionen über die Sprache und seinen Wahrnehmungen, Erinnerungen und Fiktionen verbindet. Sein singulärer Schreibstil bedient sich einerseits poetischer Techniken, die in eine sonst technisierte, deskriptive Textsorte eingebracht werden, und andererseits der Beobachtungsgabe des Dichters mit seinem analytischen Blick für (oft skurrile) Details. Durch seinen persönlichen Vermittlungsanspruch wird so eine hochfachliche Materie, die eigentlich profunde Vorkenntnis voraussetzt, für ein breiteres Publikum rezipier- und vor allem fassbar.
Achleitner verknüpft die visuelle Analyse eines Gebäudes mit literarischen und intellektuellen Debatten: Ein Bauwerk gibt nicht nur Antwort auf eine konkrete Entwurfsaufgabe, sondern auch auf übergeordnete Problemstellungen der Architektur und Gesellschaft:
5  In Loos’ Bauwerken wird etwa „ein semantisches Verhalten, das eine radikal neue Denkposition verrät“6,  sichtbar, während Wagners Architektur eine Universalsprache darstellt, „die bewusst Fremdsprachliches oder gar Dialekte ausschloss.“7  Die architektonische Fiktion, durch die Formensprache Mitteilungen zu treffen, führt zu einer immer größeren Distanz zum Original, wodurch sich die formensprachliche Ebene von der funktionalen Ebene abkoppelte. Doch gerade diese Autonomie des architektonischen Vokabulars vom Bedeutungsinhalt drückt auch einen „Verschleiß an Sprache in der Architektur“ aus.8  
Die Analogie zwischen Architektur und Sprache erweist sich als besonders aussagekräftig, um die politischen und sozialen Rollen, die Bauwerke spielen, zu charakterisieren. Doch „Architektur ist natürlich nicht Sprache. Sie erlaubt aber den Gebrauch als Sprache“, betont Achleitner.9  Denn „die Architektur ist ein zu ambivalentes Medium, um schlüssige Analogien wirklich dingfest machen zu können“10, jede Zeit hat ihre eigenen Regeln und Codes der Lesbarkeit geschichtlicher Inhalte.

1 Welzig, Maria/Steixner, Gerhard: Die Architektur und ich. Eine Bilanz der österreichischen Architektur seit 1945 vermittelt durch ihre Protagonisten; geboren in der Ersten Republik - Roland Rainer, Ernst Hiesmayr, Viktor Hufnagl, Harry Seidler, Harry Glück, Gustav Peichl, Friedrich Achleitner, Ottokar Uhl, Günther Domenig, Wien u. a. 2003, 149.
2 Ebd., 145.
3 Achleitner, Friedrich: „Von der Unmöglichkeit, Orte zu beschreiben. Zu Heimito von Doderers Strudelhofstiege“, in: Luehrs-Kaiser, Kai: „Excentrische Einsätze“. Studien und Essays zum Werk Heimito von Doderers, Berlin u. a. 1998, 126–135, hier 131.
4 Ebd., 129 f.
5 Achleitner, Friedrich: Österreichische Architektur im 20. Jahrhundert. Bd. I, Oberösterreich, Salzburg, Tirol, Vorarlberg, Salzburg u. a. 1980, 8.
6 Ebd., 190.
7 Ebd., 18.
8 Ebd., 195.
9 Achleitner, Friedrich: Wiener Architektur. Zwischen typologischem Fatalismus und semantischem Schlamassel, Wien u. a. 1996, 39.

10 Ebd., 185.

 

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